Ich hab die Jahreszeiten am Fenster dieses Wartezimmers alle mindestens 1x vorbeiziehen sehen. Jede bringt ihren eigenen Fensterbankschmuck mit. In dem Schirmständer daneben befinden sich immer schon die gleichen Schirme und am kleinen Tisch, neben den zwei Sessel, les ich jede Woche die gleiche Magazinüberschrift: „Gold – die neue Trendfarbe“. Das alles soll von dem ablenken, was man bereit ist hier zu lassen. Soll einen Raum schaffen, der sich nicht anfühlt, wie ein Ärzt_innenbesuch sondern ein Ort, um endlich wieder zu atmen. 2 Monate war ich jetzt nicht mehr hier. Letzte Woche unten die Türklingel mit der Aufschrift „Gruppenpraxis“ drücken und die Wendeltreppe bis in den 1.Stock hinaufgehen, hat sich angefühlt, wie verloren zu haben. Sobald ich wieder vor diesem Fenster stand, wäre ich am liebsten wieder gegangen. Weit weg von all dem hier und doch wieder mitten in mein Problem. Wieder in Therapie zu sein und sich einzugestehen, dass man es nicht ohne Hilfe schafft, hat unendlich weh getan.
Dieses Foto hab ich eigentlich vor ein paar Monaten gemacht, um es hier zu sharen und doch ist es lange in einem Ordner mit vielen anderen Fotos gelandet, wo ich einfach nicht auf „posten“ klicken konnte. Zu groß die Angst davor, was danach kommt. Denn unser privater öffentlicher Raum ist zu einem Ort geworden, an dem wir entscheiden können, wer wir sein wollen. Wo wir allein aussuchen können, wie nah andere uns kommen dürfen. Und heute lass ich euch mal so nah ran, dass ich auch mit einem Clownfilter und einem Spiegelselfie keine Distanz mehr zwischen uns schaffen kann, weil ich weiß wie gut es mir selber tut, die Geschichte von anderen zu lesen: Hi, ich bin die Jasmin und hab eine generalisierte Angststörung und Depressionen. An manchen Tagen, wie heute, brauch ich 1 ½ Stunden, um aufzustehen und hab so viel Angst, draußen Leute zu treffen, die ich kenne, dass ich 10x überlege, wie und ob ich fahre. Und an anderen Tagen geht’s mir wieder vollkommen ok. Ohne Therapie würd ich grad vieles nicht mehr schaffen. Seids nett zu euch und geht’s in Therapie. Believe me: It will save your life.
Jasmin Chalendi 